10.000 Schritte gegen Gewalt und Vergessen
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Kriegerdenkmal Vogelsang
Schon immer war es ein Bedürfnis des Menschen, seiner Toten zu gedenken und sie zu ehren. Dies geschieht bis heute bevorzugt an dem besonders gekennzeichneten und geschmückten Begräbnisplatz des Verstorbenen. Bei Menschen, die nicht in ihrer Heimat starben und bestattet wurden, und in Kriegen waren dies besonders viele, war dieses Gedenken schwierig. Deshalb errichtete man schon nach dem Krieg 1870/71 zum Teil sehr aufwendige und pompöse Kriegerdenkmale, die für die Angehörigen stellvertretend für den Grabstein als Ort der Erinnerung dienten. Aber nicht nur für die Angehörigen, auch die Gemeinden begannen, im politischen Totenkult in regelmäßigen öffentlichen Feiern ihrer Gefallenen zu gedenken.
Bereits im August 1918, also noch vor Kriegsende, wurde in Fridingen zum ersten Mal über den Bau eines Kriegerdenkmales diskutiert. Am 10. Dezember 1918 beschloss der Gemeinderat, ein Kriegerdenkmal zu bauen. Sehr hart wurde über den Platz der Anlage diskutiert. Pfarrer Karl Maier war der Ansicht, “Fridingen hat Kapellen genug”, man müsse das neue Kriegerdenkmal irgendwo sinnvoll integrieren. Er hätte es am liebsten in der Kirche gebaut. Wenn es aber doch ein Neubau sein müsse, wie es die Stadtverwaltung wünschte, plädierte er für den exponierten Platz oberhalb der Stadt, in Richtung “Härle” unterhalb des “Vogelsang” und wünschte sich eine kapellenartige Ausführung des Denkmales.
Am 13.02.1919 verschob der Gemeinderat den Bau des Kriegerdenkmales, da die Platzfrage noch nicht geregelt werden konnte. Am 8.7.1920 entschied sich der Rat dafür, das Kriegerdenkmal an der kleinen Freifläche am Vogelsang, wo es von der Stadt her gut sichtbar wäre, zu bauen. Gleichzeitig wurden die eingegangenen Pläne der Bürgerschaft vorgestellt, der Rat entschied sich für den Vorschlag des Architekturbüros Mäckle und Kayser in Stuttgart.
Am 24.7.1920 folgte der Beschluss, mit dem Bau im Frühjahr 1921 zu beginnen, der Baubeginn verzögerte sich allerdings immer wieder. Im Herbst 1921 wurden die Bauarbeiten schließlich ausgeführt. Sie entsprachen aber in keiner Weise den Vorstellungen des Architekten. Der war entsetzt, als er am 3. März 1922 nach Fridingen gekommen war und den bestehenden Rohbau sah: Er war völlig unsachgemäß gebaut und einsturzgefährdet. Daraufhin entschied sich der Gemeinderat, nachdem am 6. April die betreffenden Handwerker und Oberamtsbaumeister Schad aus Tuttlingen an Ort und Stelle getagt hatten, am 7. April 1922 nach langem Hin und Her für den Abbruch des Rohbaues.
Das Architekturbüro vergab die Bauleitung an Bildhauer Teufel, Tuttlingen, und die Steinhauerarbeiten an Stephan und Wilhelm Weißer und Erwin Stannecker. Der Zimmermeister mußte die Dachkonstruktion wieder abnehmen, die früheren beteiligten Unternehmer wurden verpflichtet, “das gesamte Mauerwerk der Kapelle in sorgfältiger Weise wieder abzutragen, die Steine vom Mörtel zu reinigen und sauber beiseitezusetzen”.
Die Inflationszeit schaffte zusätzliche Probleme, ständig waren Abschlagszahlungen erforderlich, um die Arbeiten überhaupt weiterführen zu können. Am 17. August 8000 Mark, am 18. August 10.000 Mark und am 19. August schließlich 50.000 Mark. Mit nur schleppenden Zahlungen verzögerte die Stadt selbst die Arbeiten zusätzlich.
Im Frühjahr 1923 führte die Stadt die Arbeiten in eigener Regie weiter. Interessant ist hier ein Blick in die Kalkulation des Dachdeckers Gustav Diesel aus Rottweil vom 18. Januar 1923: Stundenlohn eines Dachdeckers 450 Mark, Helferlohn 430 Mark, die rund 30 Quadratmeter Dachfläche des Kriegerdenkmales würden demnach mit Material 77.820 Mark kosten.
Am 30. Juli 1923 stellte Bildhauer Christian Teufel die Rechnung für die beiden Platten mit den Namen der Gefallenen: Für das Material forderte er noch 495.000 Mark, für 2 Ornamente einhauen, 62 Stunden bei einem Stundenlohn von 8000 Mark, 496.000 Mark, 1715 Buchstaben einhauen, pro Buchstaben 6000 Mark, ergibt 10.290.000 Mark, dazu noch Frachtkosten und ähnliches, dies ergibt für die zwei Platten 17.599.473 Mark.
Er hatte auch den Auftrag, die Pieta für das Kriegerdenkmal zu fertigen. Am 21. September 1923 forderte er eine Abschlagszahlung von 500.000.000 Mark, sonst könne er die Arbeiten an der Pieta nicht fortsetzen. Dieser Aufforderung folgte die Stadt nicht. Er beschwerte sich bei der Stadt daraufhin bitter über ihre schlechte Zahlungsweise und forderte nun innerhalb von drei Tagen die Zahlung von 20 Milliarden Mark als zusätzlichen Schadensersatz. Am 18. Oktober leistete die Stadt eine Abschlagszahlung von 95 Milliarden Mark und 10 Raummeter buchenes Scheitholz erster Klasse, dafür verpflichtete sich Teufel, die Arbeiten an der Pieta so rasch als möglich zu vollenden.
Am 5. Dezember 1923 meldete Bildhauer Christian Teufel der Stadtverwaltung, daß die Arbeit an der Pieta beendet sei, im April 1924 wurde sie geliefert. Die Rechnung vom 17. Oktober 1923 betrug bei 530 Arbeitsstunden zu einem Stundenlohn von 68,5 Millionen Mark inklusive Material insgesamt 114.927.000.000 Mark (Also ein äußerst wertvolles Kunstwerk!).
Im Juni 1926 waren schließlich alle Arbeiten am Kriegerdenkmal beendet. Nach dieser ungewöhnlich langen Bauzeit mit vielen Hindernissen konnte das Kriegerdenkmal vom Erzabt von Beuron, P. Raphael Walzer am 25. Juli 1926 eingeweiht werden.
Den eigenwilligen Tuffsteinbau ziert ein gotischer Torbogen mit der Umschrift :” Der du vorübergehst vergiß nicht der Toten aus den Kriegsjahren 1914-18". Der innere Spitzbogen trägt die Schrift:” Größere Liebe hat niemand als der, der sein Leben gibt für seine Freunde”. Die blau gehaltene Apsis ziert im Spitz eine Krone, die Pieta ist im Hintergrund von 7 Schwertern, den 7 Schmerzen Mariens, umgeben, darüber das Gebet: “Du Trösterin der Betrübten, bitte für uns”. Die vier kunstvoll bemalten Fenster zeigen die Heiligen Sebastian, Martin, Michael und Georg, dazwischen sind die beiden blaukernigen Muschelkalksteinplatten mit den Namen der 35 Gefallenen aus Fridingen angebracht. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde jährlich eine Kriegergedächtnisfeier am Denkmal auf dem Vogelsang abgehalten.
Beurteilung:
Über 80 Jahre später muss man noch heute den Verantwortlichen von damals für die Gestaltung dieser Gedenkstätte ein großes Lob aussprechen. Sie schufen eine einfach und schlicht gehaltene, fast zeitlose Gedenkstätte ohne jedes Pathos, ohne beklemmende Verherrlichung des Kriegsmythos. Das Fridinger Kriegerdenkmal am Vogelsang hebt sich sehr angenehm von den übrigen in dieser Zeit entstandenen Kriegergedächtnisstätten ab.
Die Gedächtnisstätten für die Toten des Ersten Weltkrieges sind in Deutschland zumeist von einem dumpfen Heroismus geprägt, der diese Niederlage des Jahres 1918 manchmal verdrängt, oder gar in einen Sieg uminterpretiert (“Im Felde unbesiegt”) und manchmal sogar zum Revanchismus aufruft, also selbst wieder aufhetzend und kriegstreibend wirken kann.
Das Kriegerdenkmal am Vogelsang widerspricht dieser damaligen Tendenz völlig. Es hat keinerlei heroisierenden Charakter, es enthält keine kriegsbewundernden Statuen oder Bilder und keine euphorisch gemalten Schlachtfeldsituationen. Weder der Abschied eines aufrechten jungen Soldaten von seiner alten, gramgebeugten Mutter, noch ein “heldenhafter” Soldat oder sein Sterben sind dargestellt.
Der sicherlich grauenhafte Tod auf einem fernen Schlachtfeld wird nicht glorifiziert. Die vielen Namen (eigentlich wäre schon einer zu viel) auf den beiden einfach gehaltenen Tafeln genügen, um den Wahnwitz eines jeden Krieges zu verdeutlichen. Den Raum beherrscht in der Mitte der kleinen Apsis als religiöses Hauptmotiv die “neutral” gehaltene lebensgroße Pieta, die mit schmerzlich betrübtem Gesicht ihren toten Sohn in den Armen hält. Sie “trägt in diesem Augenblick allen Schmerz der Welt”, mit ihr können sich daher die Mütter und Ehefrauen, die ihre Söhne und Männer im Krieg verloren haben, sehr leicht identifizieren, und ihren Schmerz über den Verlust eines nahe stehenden Menschen an dieser abgelegenen, ruhigen Stätte mit der ebenfalls um einen geliebten Toten trauernden Gottesmutter teilen. Nicht die Glorifizierung des Todes auf dem Schlachtfeld, sondern schlicht und einfach die Trauer selbst wird in den Mittelpunkt der Aussage des Denkmales gestellt. Im Gesicht der trauernden Frau ist die Botschaft des Denkmales ausgedrückt: Nie wieder Krieg!
Durch die kunstvollen Glasfenster fällt ein warmes, angenehm gedämpftes Licht in die Kapelle, dies verleiht dem harmonischen Raum eine feierlich ruhige, aber dennoch nicht düstere Atmosphäre, die zu einem ungestörten “memento mori” für die Kriegstoten, nicht nur aus Fridingen, einlädt.